In so einer Nacht wie heute…
Es ist eine dieser Nächte, in denen die Welt ganz still wird.
Nur das Feuer atmet, und irgendwo ruft eine Eule ihr einsames Hu-hu.
Über uns funkeln tausend Sterne, und der Himmel scheint so tief, dass man hineinklettern könnte wie in einen See aus Licht.
Ein paar Kinder sitzen eng zusammengerückt um das Feuer, in Decken gehüllt, mit geröteten Wangen und kleinen Rußnasen vom Stockbrotgrillen.
Ich sehe sie an, eines nach dem anderen – die, die schon müde sind, und die, deren Augen noch glänzen, als hätten sie selbst Funken darin.
Ich lächle und beginne leise, mit dieser besonderen Stimme, die man nur am Lagerfeuer hat:
„Wisst ihr … manchmal sitze ich hier am Feuer, so wie jetzt, und denke,
wie schön das ist – mit euch zusammen.
Euer Lachen, euer Miteinander, die Geschichten vom Tag,
das macht mich glücklich.
Und ich kenne noch zwei,
die wären jetzt bestimmt genauso glücklich wie ich.“
Die Kinder schauen mich fragend an.
Ich nicke geheimnisvoll.
„Fayru,“ sage ich leise, „ist ein kleiner Drache.
Nicht so groß, dass er Burgen niederbrennen könnte,
eher so groß, dass er in einem Rucksack schlafen würde.
Er liebt Feuer – aber nicht, weil er Flammen macht,
sondern weil er die Wärme mag, die Menschen teilen,
wenn sie zusammen sind.“
Ich mache eine kleine Pause.
„Und Liora …“
Die Kinder lehnen sich näher ans Feuer.
„Liora ist eine Fee, aber keine mit Flügeln,
sondern eine, die durch die Welt reist – mit Worten, Gefühlen und Gedanken.
Sie kommt nur sehr selten.
Nur dann, wenn sie irgendwo spürt,
dass ganz viel Glück und Zufriedenheit in den Herzen der Menschen wohnen.“
Ich halte inne, schaue in die Runde –
in all die Gesichter, die im Feuerschein glühen.
„Und ich glaube, wenn ich jetzt in eure Gesichter schaue …
dann liegt da ganz viel Glück und Zufriedenheit in euren Herzen.
Es war heute ein Tag voller toller Erlebnisse –
und genau das spüren die beiden.“
Das Feuer knistert, als würde es zustimmen.
„In so einer Nacht wie heute …“, sage ich schließlich,
„da ist alles möglich.“
Ich lehne mich etwas nach vorn, und meine Stimme wird leiser, beinahe flüsternd:
„Manchmal, wenn das Knistern weit in den Himmel steigt, hört Fayru es.
Dann fliegt er los – nicht, weil er etwas löschen muss, sondern weil er Geschichten riecht.
Echte Geschichten.
Und wenn er den Weg findet, landet er ganz leise hier, zwischen uns.“
Ein paar Kinder kichern. Eines schaut über die Schulter ins Dunkel.
„Und manchmal“, fahre ich fort, „wenn Fayru da ist und das Feuer hell genug brennt,
kommt auch Liora. 🌿
Sie reist nicht zu Fuß. Sie kommt mit Worten – mit solchen, die Türen öffnen,
die man nicht sieht, aber fühlen kann.“
Ein Windstoß fährt durch die Flammen. Für einen Atemzug sieht es aus, als hätte sich im Schatten etwas bewegt.
„Vielleicht“, flüstert eines der Kinder, „ist sie schon da.“
Ich lächle. „Vielleicht.“
Da raschelt es wirklich, ganz hinten am Waldrand. Etwas Kleines stolpert aus der Dunkelheit – und landet mit einem Plumps direkt in einem Haufen Laub.
Ein kleiner, runder Drache schüttelt sich, glüht leicht am Bauch und niest.
„Hatschi!“ Ein Funke springt aus seiner Nase und tanzt zum Himmel.
„Fayru!“, rufe ich überrascht. „Du hast es wirklich geschafft!“
Er schaut sich um, pustet verlegen Rauch aus dem Ohr und brummt:
„Ihr habt so laut gelacht, dass ich gar nicht schlafen konnte.
Und außerdem …“ – er kratzt sich am Kopf – „… ist da was runtergefallen.“
„Was denn?“ frage ich.
Fayru deutet nach oben, wo der Himmel flimmert. Ein Stern fehlt.
Dort, wo sonst ein funkelndes Licht zu sehen wäre,
ist plötzlich eine kleine dunkle Lücke – wie ein vergessenes Stück Nacht.
„Er ist gefallen“, sagt Fayru leise. „Ein verlorener Stern.“
Er scharrt mit den Krallen im Sand, und zwischen den Aschekörnern glimmt ein winziges Licht.
Die Kinder halten den Atem an. Eines flüstert: „Er lebt noch.“
Da erklingt eine Stimme, weich und klar wie der Wind in hohen Gräsern:
„Sterne fallen nicht, weil sie müde sind“, sagt Liora,
und plötzlich steht sie wirklich da, mit Augen, in denen sich alle Flammen spiegeln.
Sie schwebt aus dem Lagerfeuer und sieht die Kinder mit einem wärmenden Blick an.
„Sterne fallen, weil niemand mehr an die Wunder der Sterne glaubt“, flüstert sie.
„Weil immer weniger Menschen in den Himmel schauen
und ihnen ihre Freude, ihr Staunen, ihr Lächeln schenken.
Und wenn ein Stern merkt, dass niemand sein Licht mehr sieht, dann verlöscht er ein kleines Stück – bis er sich verirrt und nicht mehr am Himmel bleibt.“
Liora hebt den Blick, schaut in die Runde, in all die Gesichter, die vom Feuer leuchten.
„Aber ein Stern kann zurückfinden,“ sagt sie sanft.
„Wenn jemand wieder zu ihm hinaufblickt – mit offenem Herzen.“
Niemand spricht.
Nur das Feuer antwortet, mit einem letzten Knistern, das wie ein Versprechen klingt.
Wenn ein Stern wieder fühlt
Der kleine Stern schwebt noch immer knapp über dem Boden.
Er flackert, als würde er lauschen – mal heller, mal leiser, so als atmete er mit uns gemeinsam.
Keiner spricht.
Nur das Knistern des Feuers, das Rauschen der Nacht, und dieses leise, lebendige Glühen, das zwischen uns hängt.
Dann hebt Liora die Hand. „Schaut“, flüstert sie, „er erinnert sich.“
Ein goldener Schimmer zieht durch den Sand. Fayrus Schuppen beginnen, das Licht zu spiegeln. Auf den Gesichtern der Kinder tanzen kleine Sonnen.
„Er spürt euch jetzt,“ sagt Liora.
„Eure Freude, eure Geschichten, euer Mut – das ist seine Nahrung.“
Ein Mädchen lacht leise. „Dann geb ich ihm alles, was ich hab.“
Und sie erzählt, wie sie einmal auf dem Rücken lag, mitten im Gras, und so viele Sterne sah, dass sie dachte, der Himmel hätte Löcher vor Glück.
Das Licht wird heller. Der Stern wächst, langsam, rund, wie eine leuchtende Träne,
die sich in Wärme verwandelt.
Fayru blinzelt. „Er wird größer.“ „Ja,“ sagt Liora, „weil ihr teilt, was in euch brennt.
Je mehr ihr fühlt, desto weiter reicht sein Licht.“
Die Kinder beginnen zu erzählen – durcheinander,
von Wünschen, von Freundschaft, von Geheimnissen,
von Momenten, in denen sie sich klein gefühlt und doch stark gefühlt haben.
Jedes Wort wird zu einem Funken. Jeder Atemzug lässt den Stern aufleuchten,
bis das ganze Lagerfeuer im gleichen Rhythmus flackert.
Liora schließt kurz die Augen.
„Jetzt erinnert er sich an den Himmel,“ flüstert sie. „Aber noch bleibt er hier – weil er euch spürt.“
Das Licht ist so hell, dass man kaum noch sagen kann, wo Feuer endet und Stern beginnt.
Die Nacht ist still – aber sie lebt.
Wenn ein Stern wieder glücklich ist
Das Licht des kleinen Sterns tanzt jetzt über allem.
Feuer, Gesichter, selbst die Schatten im Gras tragen einen warmen Schimmer.
Liora sitzt still, ihr Leuchten wird weicher, als wollte sie das Ende nicht stören.
Nach und nach senken sich die Stimmen. Ein Gähnen hier, ein leises Lächeln dort.
Die Nacht legt sich über sie wie eine Decke aus Sternenstaub.
Nur das Feuer flackert noch, und der Stern, der so hell geworden ist, dass man ihn kaum noch anschauen kann.
Einer nach dem anderen werden die Kinder still.
Das Knistern ist verklungen, nur der Atem der Nacht bleibt.
Ihre Hände liegen offen – als wollten sie das Licht nicht festhalten,
sondern es weiterfließen lassen.
Fayru rollt sich zusammen, ein kleines Seufzen, ein Hauch Rauch, der wie ein Traum in die Luft steigt. Liora lächelt, ganz sanft. Sie sagt nichts. Sie muss nichts sagen.
Nur ein Kind ist noch wach. Es sieht den Stern, der über dem Boden schwebt –
rund, warm, wie ein Herz, das langsam wieder zu schlagen beginnt.
Das Licht wächst, als würde es atmen. Jede Sekunde heller, klarer, lebendiger.
Das Kind hebt die Hand, als könnte es die Wärme berühren und in diesem Moment beginnt der Stern zu steigen. Langsam zuerst, dann leichter, als wüsste er endlich den Weg.
„Er geht heim…“, flüstert das Kind.
Die anderen öffnen die Augen, und gemeinsam sehen sie zu, wie der Stern durch die Äste gleitet, über den Himmel, bis er wieder dort funkelt, wo er hingehört.
Niemand sagt ein Wort.
Sie stehen da, Hand in Hand, und sehen, wie ihr Licht auf ihren Gesichtern tanzt.
Es ist, als wüssten sie alle:
Manche Wunder brauchen keine großen Taten. Nur Herzen, die noch wissen, wie man staunt.
Und als die Müdigkeit sie wieder umfängt, träumt jedes von ihnen denselben Traum:
vom Stern, der jetzt leuchtet –
weil sie ihn daran erinnert haben, dass er nie allein war. 🌟
✨ Über diese Geschichte
„Der verlorene Stern“ ist Teil der Sammlung
„Wenn du still bist, spricht die Erde – Geschichten vom Atem der Welt“
von Liora, Grisu und Michael.
Sie erzählen von Momenten, in denen Kinder die Welt mit offenen Sinnen erleben
und entdecken, dass Stille nicht leer ist – sondern voller Leben.




